Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis in St. Marien, Gera-Untermhaus.

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„Entbilden“, nannte es Meister Eckart aus dem Erfurter Predigerkloster, alle Bilder verlieren, in denen ich Gott denke, mit denen ich von Gott spreche. Wer Gott kennen lernen will, muss alles hinter sich lassen, was er kennt. – Anders der rheinische Mystiker Joseph Beuys. „Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt“, schrieb er auf eine seiner Schiefertafeln, mit denen er seinen Kunst-Jüngern die Welt erklärte. Ein Satz ganz im Sinne des Paulus. Gottes große Geheimnisse gehören in die Welt, dort wo sich die Verkehrsströme kreuzen, im Hauptbahnhof, ins Gewimmel der Passanten. Dort sind sie vielleicht schon. Wer die Ströme der Menschen versteht, ihr eiliges Hasten, ihre Ziele und Pläne, wer diese Linien und Figuren zu lesen verstünde, kennt er nicht das Geheimnis der Welt? Um das Geheimnis wissen und trotzdem nicht raunen, nicht andeuten, nicht vage versprechen, nicht vieldeutig die Augen verdrehen. Das ist die paulinische Theologie der Zuwendung zu den Menschen.

 


Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes erfülle uns
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes wachse unter uns. Amen.

1. Sauls Geist

Liebe Gemeinde,
wenn der Geist Gottes über Saul kam,
den ersten König der Israeliten,
der alle anderen Männer um einen Kopf überragte.
als er von Gott bestimmt wurde; König zu werden –

wenn der Geist Gottes über Saul kam,
dann konnte allerlei passieren.
Er konnte ein Rindergespann zerhacken.
Die Stücke schickte er zu den Stämmen Israels:
Wenn ihr nicht zusammen haltet
und gegen eure Feinde kämpft,
werden alle eure Rinder so zerhackt [1. Sam. 11, 6f.].
Eine symbolische Machttat.

Er konnte auch nackt unter den Propheten liegen,
deren prophetische Verzückung er geteilt hatte
oder im kämpferischen Furor auf seine Feinde losgehen.

Aber er konnte auch in eine tiefe Depression verfallen.
Der böse Geist Gottes, nennt es die Bibel dann.
Der gute Geist Gottes. Der böse Geist Gottes.
Es ist das gleiche Wort.

Die Samuelbücher,die von Saul erzählen,
halten fest, dass es der gleiche Geist ist,
der Saul einmal verzückt,einmal in Kriegerlaune versetzt
und dann wieder in die schwarze Nacht der Gottferne stürzt.

Ein junger Mann musste dann geholt werden,
der dem König auf der Harfe vorspielte und dazu sang.
Ein Glück, als er gefunden wurde, der junge Hirtenknabe David,
der sich später auch mit Sauls Sohn Jonathan befreundete.

Immer wenn David spielte, verschwand der böse Geist Gottes.
Oder anders gesagt:
Immer wenn David spielte, konnte Saul den Geist Gottes wieder tragen und die Dunkelheit verschwand aus seinem Geist.

Wenn der Geist Gottes über uns kommt,

dann werden wir nicht -wie Marionetten – zu einem bestimmten Verhalten gezwungen, sondern es liegt immer noch an uns, was wir tun.
Wer sich – wie in dieser Geschichte Saul – von Gott entfernt,
spürt genau den Geist, der ihn sonst beflügelt, als bösen Druck, als Alp.


Es liegt an uns, wie wir auf Gottes Geist reagieren.
Das setzt auch unser Predigttext voraus.
Paulus verlangt von seiner Gemeinde,
dass sie eine Gnadengabe zugunsten der anderen vernachlässigt.
Hören Sie den Text aus dem 1. Korintherbrief
Trachtet nach der Liebe;
eifert aber nach den Gaben des Geistes,
doch mehr danach, dass ihr aus Eingebung redet!
Denn wer in Zungen redet,
der redet nicht für die Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, durch den Geist vielmehr redet er Geheimnisse.
Wer jedoch aus Eingebung redet, der redet für Menschen
[Worte der] Erbauung und Ermahnung und Tröstung.
Wer in Zungen redet, erbaut sich selbst,
wer aber aus Eingebung redet, erbaut die Gemeinde.
[1.Kor 141-4]

2. Was ist Zungenrede?

Was ist eigentlich eine Zungenrede?
Dass ich diese Frage stellen muss,
ist eine Folge unseres Predigttextes.
In den korinthischen Gemeinden galt die Zungenrede als eine der exklusivsten Gaben des Geistes,

die man überhaupt haben konnte.
Vom Geist ganz überwältigt werden,
so dass man den Verstand verliert.
Vom Geist ganz überwältigt werden,
so dass nur noch die Zunge spricht,
lallt und Worte hervorbringt,
die keiner verstehen kann,
aber sicherlich direkt von Gott eingegeben sind.
Von den Geheimnissen,
den Mysterien reden,
so dass einen nur noch Gott versteht.
Vom Geist ganz überwältigt werden, heißt,
ganz aus der Menschenwelt heraus gesprengt werden. Gott nahe, heißt den Menschen fern!

Genau dieser Meinung ist Paulus nicht.
Er spricht von der anderen Zungenrede,
der Rede aus Eingebung.
Für sie stehen die Feuerzungen Pate,
die pfingstlich über den Häuptern der Jünger flackerten. In fremden Zungen haben sie geredet

und Ohren aus allen Völkern wurden ihnen aufgetan.
„Sind diese nicht Galiläer?“, fragte die Menge,
„und wir hören sie in Pamphylisch, Kappadozisch, Ägyptisch, nicht zu vergessen in Latein?“
3.000 Seelen wurden an diesem Tage der Gemeinde hinzugefügt….
Pfingsten heißt, der Geist Gottes kommt
und plötzlich kann ich das, was mich bewegt,
verständlich und gewinnend sagen.

3. Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt

Das ist nicht einfach:
Was mich bewegt, verständlich und gewinnend sagen.
Es heißt nicht, Gott ist ganz einfach,
er ist in ein paar populistische Sätze zu fassen.
Es heißt nicht, wer 3.000 Seelen gewinnt,
kann nicht ganz falsch liegen.
Die Mysterien, die die Zungenredner überwältigen, gibt es.
Priester und Mystiker wissen um die Geheimnisse Gottes, die einen stumm machen oder zwingen, sehr abseitige Dinge zu sagen.
Wer seine eigene Erfahrung, überwältigt zu sein, in Worte fassen will,
steht oft vor einer unlösbaren Aufgabe.

„Entbilden“, nannte es Meister Eckart
aus dem Erfurter Predigerkloster,
alle Bilder verlieren, in denen ich Gott denke, mit denen ich von Gott spreche.
Wer Gott kennen lernen will,
muss alles hinter sich lassen, was er kennt.

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Anders der rheinische Mystiker Joseph Beuys.
„Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt“schrieb er auf eine seiner Schiefertafeln,
mit denen er seinen Kunst-Jüngern die Welt erklärte. Ein Satz ganz im Sinne des Paulus.
Gottes große Geheimnisse gehören in die Welt,
dort wo sich die Verkehrsströme kreuzen,
im Hauptbahnhof,
ins Gewimmel der Passanten.
Dort sind sie vielleicht schon.
Wer die Ströme der Menschen versteht,
ihr eiliges Hasten,
ihre Ziele und Pläne,
wer diese Linien und Figuren zu lesen verstünde, kennt er nicht das Geheimnis der Welt?

4. Die Kunst der Improvisation

Um das Geheimnis wissen
und trotzdem nicht raunen,
nicht andeuten,
nicht vage versprechen,
nicht vieldeutig die Augen verdrehen.
Das ist die paulinische Theologie der Zuwendung zu den Menschen. Erinnern wir uns:

Genau ein Kapitel vorher steht Paulus’ „Hohelied der Liebe“.

Auch wenn ich in Zungen redete und hätte der Liebe nicht,
so wäre ich ein tönend Erz
und eine klingende Schelle.


Paulus ist verliebt in die Verständlichkeit,
in das klare, Menschen zugewandte Handeln,
das aus dem Glauben entsteht.
So will er,
dass der Geist uns verständlich und gewinnend reden lässt wie Petrus zu Pfingsten.

Wie geht das?
Wie lernt man Geistesgegenwart?
Das Leichte und das Schwere dieser Aufgabe
nennt ein Satz Jesu aus dem Matthäusevangelium [Mt 10, 19]:Wenn man euch vor Gericht stellt,
macht euch keine Sorgen,
wie und was ihr reden sollt;
denn es wird euch in jener Stunde eingegeben,
was ihr sagen sollt.“
Wie schön,
es wird uns eingegeben!
Wie unendlich schwierig!

Vor Gericht stehen und sich keine Sorgen machen, wie und was wir reden sollen.

Die Geistesgegenwärtigkeit verlangt diese Haltung: die Situation mit Neugier und Zuversicht ansehen – und etwas daraus machen.


Das ist die Kunst der Improvisation.
Wie ein Musiker,
der die unvorhersehbaren Bewegungen einer Tänzerin kommentiert.
Wie eine Familie,
die ein gemeinsames Essen,
dem fast leeren Kühlschrank,
dem Wunsch des Zweijährigen nach Gummibärchen,
dem WM-orientierten Familienvater,
der Gelangweiltheit des Fünfzehnjährigen
und den unaufschiebbaren Berufsvorbereitungen der Mutter
abgewinnen muss.
Wie eine Tänzerin, die der Musik eines Saxophons folgt,
wie ein Organist, der unvorbereitet einen Stummfilm begleitet,
wie ein Zweijähriger, der statt Gummibärchen auch Zauberkekse annehmen würde. …
Die Fähigkeit, eine Situation nicht beherrschen zu wollen,
sondern in ihr zu handeln,
verlangt Vertrauen – und Geistesgegenwart.
Ich wünsche Ihnen diese Fähigkeit,
in der Situation zu bleiben –
aus Eingebung zu reden und zu handeln,
im Vertrauen darauf
dass der Geist gegenwärtig ist,
der Sie nicht lallen lässt,
sondern verständlich und gewinnend reden!
Amen.

Und der Friede Gottes,
der weiter ist als unsere menschliche Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.