Predigt zur Christvesper 2020

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Christvesper am 24. Dezember 2020 um 17 Uhr und 18 Uhr in St. Marien, Gera-Untermhaus.

 

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.

Amen.

 

Liebe Gemeinde,

haben Maria und Josef eigentlich erwartet, dass der Himmel aufriss?

Dass Engel zu sehen waren, die Loblieder sangen und gleißendes Licht um sich hatten?

 

Hat Josef eigentlich daran gedacht, dass er aus dem Hause Davids war, in Königskind oder jedenfalls Königsurururenkel?

Hat Maria noch an den Engel gedacht, der vor knapp einem Jahr in die Stube getreten war, und mild geglänzt

und schwer verständliche Worte geredet hatte?

 

Ich stelle mir vor, die beiden haben das nicht mehr auf dem Schirm gehabt.

Sie waren auf der Reise, auf der beschwerlichen eselsgestützten Fußreise.

Sie haben von Problem zu Problem gedacht.

Und eins nach dem anderen gelöst, einschließlich das Provisorium mit dem Stall.

Es war nicht bequem.

Aber es ging.

Und genau genommen, riss der Himmel auch nicht auf bei den beiden.

Er riss bei den Hirten auf dem Felde auf.

Die haben die Engel gesehen, während sie in der Kälte warteten.

Auf was?

Das wussten sie selbst nicht.

Bei den armen Leuten riss der Himmel auf.

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Mein Weihnachtsheld 2020 ist Chris (57) aus Krefeld.

Er hat vier Herzinfarkte und zwei Schlaganfälle hinter sich

und kommt allein nicht mehr so gut zurecht.

Ich kenne ihn aus der Serie Hartz und herzlich, die bei RTL 2 läuft.

Chris sitzt auf seiner Couch, die er nur mit Mühe verlassen kann,

um ihn herum das Chaos.

Er lebt von Hartz IV.

Aber er hat eine Frau kennengelernt, für die er der Mann ihres Lebens ist.

Und er hat sich auch in sie verliebt.

Sie spricht nur Französisch.

Und sie können sich nur über den Google-Übersetzer unterhalten.

Sie lebt an der Elfenbeinküste.

und sie wäre schon zweimal fast zu ihm aufgebrochen.

Aber beide Male kam etwas dazwischen.

Einmal ein Unfall, einmal ein Überfall.

Das Mädchen von der Elfenbeinküste hat fünf Millionen geerbt

und wenn es nach Deutschland kommt, bauen die beiden ein kleines Häuschen.

Chris schickt ihr jeden Monat 200 Euro.

Das geht über Western Union.

Er hat eigentlich gar kein Geld.

Es kommt kaum aus mit dem, was er vom Staat bekommt.

Aber er unterstützt sie jeden Monat.

Seine Schwester kommt zu ihm und setzt ihm auseinander,

warum die Geschichte, in der er lebt, eine Lüge ist.

Er sei auf einen Trickbetrüger reingefallen, sagt sie.

Ihre Argumente sind scharf und überzeugend.

Eigentlich ist Chris überführt.

Er hat sich in ein Hirngespinst verliebt.

Er sollte vor allem aufhören, Geld zu überweisen.

Aber er schaut seiner Schwester unerschrocken in die Augen und bleibt bei seiner Liebe.

Er wartet auf sein Mädchen von der Elfenbeinküste.

Es soll Weihnachten kommen.

Chris (57) aus Krefeld ist mein Sehnsuchtsheld 2020.

Seine Sehnsucht nach Liebe und Erlösung ist stärker als die Wirklichkeit.

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Alle haben gerade ein komisches Gefühl.

Einige haben Ängste.

Vor dem Virus, vor der Ansteckung, vor der Krankheit, vor dem Ersticken auf der Intensivstation.

Andere vor dem Freiheitsverlust und den staatlich verordneten Einschränkungen.

Sie sehen am Horizont die Diktatur aufziehen.

Und auch wer keine Angst hat vor einem neuen autoritären Staat oder vor der Krankheit,

die alle müde machtvund manche sterben lässt,

spürt diese alarmierende Andersheit,

die unser Leben gerade im Griff hat.

Wahrnehmbar an geschlossenen Geschäften und Kultureinrichtungen,

wahrnehmbar an Masken und Abständen,

aber auch spürbar an der Atmosphäre, die sich verändert hat.

Wir wissen alle nicht, wie es weitergeht,

und legen uns so gut wie möglich einige Geschichten zurecht.

Wie sieht das Hoffnungsszenario für Sie aus?.

 

Und es wird ein Reis hervor gehen aus dem Stamm Isais

und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.

Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN,

der Geist der Weisheit und des Verstandes,

der Geist des Rates und der Stärke,

der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.

Ein Spross aus dem Stamm, ein winziges Reislein

neben der abgestorbenen Fläche, die früher mal ein Baum war.

Auch unser Predigttext ist so ein Hoffnungsszenario.

So eine Sehnsuchtsflamme, die der Wirklichkeit zum Trotz weiterlodert.

 

Bei den Armen reißt der Himmel auf.

Sie warten bei den Schafen.

Sie bringen die Nachricht in den Stall.

Sie machen Maria und Josef endgültig klar,

was das für ein Kind ist,

das da in der Krippe liegt.

Es ist der Wunderrat, Gottheld, Ewigvater, Friedefürst.

Aber eben noch sehr klein.

Er wird größer werden.

Aber er wird nicht die Macht an sich reißen.

Er wird auf neue Art Hoffnung geben.

Er wird uns lehren, dass wir auf die Schwächsten achtgeben sollen, als wären sie er selbst.

Er wird ein schwacher Mensch sein wie wir.

Und doch wird er mit Gott an seiner Seite

und vor allem mit Gott in ihm, Wunderdinge tun.

Heilen, Überzeugen, Lieben, Erlösen.

In diesen Tagen, wenn sich Jupiter und Saturn wieder nahe kommen,

wie es wohl war bei seiner Geburt;

In diesen Tagen reißt er wieder den Himmel auf

und springt aus dem Boden hervor

und ist denen nahe, die ihre Sehnsucht nicht verlieren wollen.

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft,

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!

Amen.

Verfolgen Frank Hiddemann:

Seit 2015 Pfarrer in St. Marien und seit 2018 Leiter der Ökumenischen Akademie Gera / Altenburg (https://oek-akademie-gera.de/).