Abschiedspredigt

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Predigt am 12. Sonntag nach Trinitatis (30. August 2020) in St. Marien, Gera-Untermhaus.

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit uns allen.

1. Der Apostel als Gärtner und Baumeister
Liebe Gemeinde,
der Apostel Paulus fühlte sich manchmal als Gärtner oder Ackerbauer
oder anders gesagt als Baumeister oder Architekt sakraler Bauten.
Er baute aber eigentlich keine Häuser oder Tempel,
und er pflanzte auch keinen Kohl an oder hegte Blütenbeete.
Er baute Gemeinden.
Aber er verglich diesen Gemeindebau gerne mit dem Ackerbau
oder mit dem Gartenbau.
Besonders bewusst wurde ihm das immer,
wenn er weiterziehen sollte.
Da stellt man sich ja automatisch die Frage:
“Wie soll das weitergehen?”
Wenn die Gemeinde ein Garten ist,
wie wächst er dann weiter?
Wuchern die Beete zu?
Fressen die Stare die Kirschen?

Als ich nach dem Abitur mit einem VW-Bulli nach Griechenland fuhr,
haben mich immer die Häuser dort fasziniert
oder besser, die Art, wie sie gebaut wurden.
Die Familien lebten schon in den Rohbauten
und erst wenn wieder genug Geld da war,
wurde weitergebaut.
Wenn man ins Haus wollte,
stolperte man oft über Maurerkellen und Zementeimer
und auch von außen sah man es den unfertigen Häusern an,
wenn z.B. nach oben
noch ein oder zwei Stockwerke fehlten.
Wahrscheinlich ist das mit deutschen Baubehörden gar nicht zu machen,
aber ich stelle mir vor,
dass auch in Jerusalem eine Menge solcher Häuser standen,
die bei Gelegenheit weitergebaut werden sollten.
Was für eine Situation!
Ich gehe, und wer baut oder Gärtner weiter?
Da dies ja mein letzter Gottesdienst
als offizieller Pfarrer von St. Marien ist,
kann mich mich heute
in den Predigttext von heute
besonders gut hineinversetzen.Hören Sie Paulus’ Worte aus dem 1. Korintherbrief (3, 9-17):
Denn wir sind Gottes Mitarbeiter;
ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau.
Nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist,
habe ich den Grund gelegt als ein weiser Baumeister;
ein anderer baut darauf.
Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut.

Einen andern Grund kann niemand legen außer dem,
der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Wenn aber jemand auf den Grund baut
Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh,
so wird das Werk eines jeden offenbar werden.

Der Tag des Gerichts wird es ans Licht bringen;
denn mit Feuer wird er sich offenbaren.
Und von welcher Art eines jeden Werk ist,
wird das Feuer erweisen.
Wird jemandes Werk bleiben,
das er darauf gebaut hat,
so wird er Lohn empfangen.
Wird aber jemandes Werk verbrennen,
so wird er Schaden leiden;
er selbst aber wird gerettet werden,
doch so wie durchs Feuer hindurch.

Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid
und der Geist Gottes in euch wohnt?
Wenn jemand den Tempel Gottes zerstört,
den wird Gott zerstören,
denn der Tempel Gottes ist heilig – der seid ihr.

2. Die Hoffnungen des Wanderapostels – und die Wirklichkeit
Wie hören sie diese Zeilen?
Ich höre da doch ganz massiv die Angst um sein Werk heraus.
Ihr müsst weiterbauen!
Sagt er.
Aber so ganz richtig traut er es den Korinthern nicht zu
Deswegen droht er mit dem jüngsten Gericht,
wie es ja auch nach ihm guter Brauch geworden ist
bei den christlichen Oberen.
Wer schlecht baut, wird verbrannt.
Genauer, wer schlecht baut, dessen Werk verbrennt
und auch der Baumeister nimmt Schaden.
Versetzen wir uns in die Situation dieses Wanderapostels.
Er hat die halbe Welt durchstreift
und die andere Hälfte der Welt
wird er auch noch durchstreifen.
Überall verkündigt er den Herrn Jesus Christus.
Überall findet er Menschen,
die ihm nachfolgen wollen,
“Erstlinge” hat Graf Zinzendorf sie genannt.
Und dann zieht er weiter
und die Erstlinge versuchen,
so gut sie können,
die Sache weiter zu bauen.
Das klappt mal besser und mal schlechter
und in der Zeit des Paulus
war wohl auch nicht das Wachsen der Gemeinden das Problem
(wie heute),
sondern eher, dass sie anders wuchsen als gedacht. ..
Das beste Beispiel dafuer waren die Korinther selbst.

Einst eine hoffnungsvolle Pflanzung,
hübsch und zentral gelegen
und mit äußersten Eifer
dem Herrn nachgefolgt.
Und jetzt hatte sich ein bisschen zu viel Kreativität entwickelt
und Paulus litt darunter.
Da gab es kreischende Frauen und Männer,
die unverständliches Zeug redeten.
Der Heilige Geist, der für den alten Paulus
ein sehr vernünftiges und wohlgesittetes Wesen war,
der äußerte sich bei den Korinthern ganz anders.
Sie gerieten außer sich.
Vor allem aber hörten sie auf,
sich aufeinander zu verlassen und aufeinander aufzupassen
und sich den nötigen Respekt zu geben.
Das Hohelied der Liebe (1. Kor 13),
das heute bei fast allen Trauungen gelesen wird,
hat Paulus den Korinthern geschrieben,
weil sie sie daran erinnern wollte,
dass die Liebe zum Christentum gehört.
“Glaube, Liebe Hoffnung”, schreibt er, “diese drei,
aber die größte von Ihnen ist die Liebe.”

Paulus steht vor diesen Korinthern,
auf die er so viele Hoffnungen gesetzt hatte,
und er erkennt sie nicht wieder.
Das will er sagen,
auch mit seinen Bildern.
Ein Garten ist sehr geordnet.
Er wird gepflegt und alles hat seinen guten Ort.
Und wenn ihr ein Bauwerk seid,
dann seid ihr ein Tempel,
versteht das,
ein heiliger Ort,
ein Ort, an dem es sehr gesittet zugeht.
Keine spitzen Schreie!
Und auch kein Gebrabbel wie bei Geisteskranken!
..
So jedenfalls empfindet es Paulus.
der ja ein jüdischer Gesetzeslehrer war,
ein Schriftgelehrter,
wie Jesus es ausgedrückt hätte.
Da ist Religion vor allem das Lesen von Büchern
und das manchmal lebhafte Diskutieren von diversen Regelungen.
Waren die Korinther nicht Wildwuchs?
Muss man sie nicht anbinden, beschneiden, kurz halten.

3. Eigenwilligkeit
An dieser Stelle erinnere ich mich an eine Gedicht von Friedrich Rückert,
das Anfang/Mitte des 19- Jahrhundert entstand.
Mein Kollege Jürgen Reifarth schickte es mir neulich
im Rahmen einer Schöpfungspredigt.
Friedrich Rückert schreibt den Gärtnern folgendes ins Stammbuch:
Den Gärtnern:
Ich zog eine Winde am Zaune
und was sich nicht wollte winden
begann ich aufzubinden.
Und dachte, fuer mein Mühen
sollt es nun fröhlich blühen.
Doch bald hab ich gefunden
dass ich umsonst mich mühte;
nicht, was ich angebunden, war
was am schönsten blühte

sondern, was ich ließ ranken
nach seinen eigenen Gedanken.

So kann es einem gehen beim Winden binden.
Man versucht mit aller Gewalt Ordnung hineinzukriegen,
und die Schönheit entsteht da,
wo man sie nicht haben wollte.

Was aber auch sehr an den Augen des Betrachters liegt.
Dazu gehört auch etwas,
am Ende auch zu bemerken
und anzuerkennen,
dass nicht das Werk seiner Hände,
sondern die Linien der Eigenwilligkeit
das ergeben haben, was am schönsten blüht.
Das sollte ein Gärtner sowieso nie vergessen,
dass alles, was er will
durch die Eigenheit der Pflanze gebrochen wird.
Gewiss in den Barockgärten werden Hecken und Bäume
geschoren und geschnitten,
damit sie in geometrische Muster und Symmetrien passen,
aber meine Sympathie gilt eher dem,
was sich gewaltlos ergibt,
wie das der Dichter Friedrich Rückert,
der auch gerne seine Verse frei und unberechenbar
fließen ließ,
Und immerhin, muss man sagen,
gibt es noch heute die Zungenrede
und die Verzückung im Gottesdienst,
nicht bei uns, aber in charismatischen Gemeinden.

Ein wenig Bewusstsein scheint auch Paulus zu haben,
dass wir ganz unterschiedlich bauen können.
Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem,
der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Wenn aber jemand auf den Grund baut
Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh,
so wird das Werk eines jeden offenbar werden.
Das heißt doch wohl,
wenn der Grund stimmt,
wenn Jesus Christus das Fundement ist,
dann kann man mit allen möglichen Materialien bauen.
Immerhin.

4. Respekt
Was aber Paulus Furcht vor allem war,
vermute ich, dass die frühen Gemeinden
sich von Ihrer Umgebung zu wenig abhöben,
dass sie nolens volens,
sich mit andere Religionen,
mit einem heidnischen Geist vollsaugen würden,
dass sie das ihre verlieren würden.
Wie man auf das Eigene achtet,
hat mir gerade ein kleines Video gezeigt,
in dem James Brown, der Godfather des Soul
und Luciano Pavarotti, der König der Oper
– so steht es jedenfalls unter dem Video –
gemeinsam singen.

James Brown singt sein Lied “It’s a Man’s World”,
Luciano Pavarotti sitzt auf einem Barhocker,
auch weil er sonst wohl
den eher klein gewachsenen James Brown überragte.
Während ich die Melodie der Soul-Hymne geradezu aufsauge,
frage ich mich, ob der Tenor auch Soul singen wird,
ob er sein Genre wechselt.
Und er tut es nicht.
Er singt auch auf italienisch
und ich erkenne die Melodie kaum wieder.
..
Als dann James Brown wieder übernimmt,
klingen seine ersten zwei Zeilen,
nach der fließenden, brilliant artikulierten Tenorstimme Pavarottis
hart und trocken.
Aber er wirft in der für ihn typischen Manier den Kopf nach hinten
und macht einen heiseren stimmlosen, sehr expressiven Laut,
der wie ein “au” klingt.
Danach ist die Erinnerung
an den harten Übergang der Stimmen
wie gelöscht
und die Soul-Stimme nimmt mich wieder ganz ein.
Mit der Zeit weiß ich nicht mehr,
ob die beiden dasselbe Lied singen.
Das Duett, der Dialog läuft vermutlich nur auf der Ebene des Gefühls,
das einmal vollendet fließt und in ein Timbre geht
und dann wieder soulig heiser
und im zeitweiligen Stakatto hervorgepresst wird.
Dann schrauben sich die Streicher des Sinfonieorchester in die Höhe,
der Schlussakkord erklingt
und die beiden Männer umarmen sich.
Das Publikum tobt.
und das Video geht gerade auf die 20 Millionen Klicks zu.

Das Eigene konservieren,
wenn man es überhaupt erst entwickelt hat,
ist offenbar gar nicht so schwer.
Wer eine eigene Art zu leben,
den Glauben zu leben gefunden hat,
der kann mit großem Respekt und großem Selbstbewusstsein
ein Duett singen oder einen Dialog führen.
Man muss offenbar auf die Abgrenzung schon achten,
aber es entsteht eine Intensität dabei,
die innige Form von Gemeinschaft ist,
über die Stilgrenzen hinweg.

5. Abschied
Wenn Paulus geht,
worauf kann er sich dann verlassen?
Von Goethe stammen ja die berühmten Verse aus den Urworten, orphisch (1817):
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.
Wir Gemeinden sind solche geprägten Formen,
die alle einen Eigensinn haben,
in denen aber auch der Geist wirkt.
Wie viele lebendige, Jahrhunderte überdauernde
Formen der christlichen Gemeinschaft gibt es!
Die Klöster mit gregorianischem Gesang und Buchmalereien,
die Scholastik mit ihrem angestrengten Denken,
dicken gedruckten Bänden mit brilliant gebauten Gedankengebäuden.
Orthodoxe Liturgien in vergoldeten Räumen mit diversen Kuppeln,
Gemeinden in Widerstandssituationen,
die gemeinsam die Zeichen der Diktatur
und ihres Verfalls lasen
und sich an letzterem beteiligten.
Spirituals und Gospels,
die z.B. James Brown sang, weil er als gewesener Kleinkrimineller
auch als weltbekannten Musiker immer wieder im Knast landete.
Dann überlebte er mit Hilfe der Gospel, schrieb er.

Paulus war Handwerker, Zelt-Macher.
Da zwingt man seinem Material den willen auf.
Aber Gemeinden beschreibt man eher mit Bildern des Lebendigen.
Sie sind Formen,
die sich weiterentwickeln,
wenn sie einmal geprägt sind,
meinetwegen auch Häuser, die weitergebaut werden,
die – so wie unsere Kirche –
immer wieder den neuen Bedürfnissen
– und dem neuen Geschmack –
der Gläubigen, die sie bewohnen, angepasst werden.

Der Geist prägt und verändert die Formen,
in denen und mit denen wir leben, unaufhörlich.
Und das möchte ich dem Handwerker Paulus
auf seine Ängste,
nicht alles unter Kontrolle zu haben,
zum Schluss antwortend zurufen:
Sei stolz auf dein Werk!
Freue dich an der lebendigen Form,
die du geprägt hast!
Aber habe keine Angst vor Veränderungen.
Was du nicht in der Hand hast,
hat Gott in der Hand.
Was er nicht mit Kraft erfüllt, bleibt nicht.
Gott ist die Kraft der Schöpfung
und er schafft sein Lob mit Steinen und Pflanzen
und Liedern und Menschen, die aufeinander achten
und Gemeinden bilden,
die für ihn da sind und seinen Willen tun in der Welt.
Amen.

Und der Friede Gottes,
der höher und weiter ist
als unsere menschliche Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Verfolgen Frank Hiddemann:

Seit 2015 Pfarrer in St. Marien und seit 2018 Leiter der Ökumenischen Akademie Gera / Altenburg (https://oek-akademie-gera.de/).