Predigt am Sonntag Exaudi

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Jesus spricht hier vom „Inneren“ des Menschen mit einem Wort, das zu der Volks- und Festkultur, zum Erntedank, zum Fruchtbarkeitsfest passt, in der er gerade auftritt. Er schaut dem Volk aufs Maul, wie Luther sagen würde. Wer zu ihm kommt, wird nicht Wasser schöpfen, sondern selbst eine Quelle sein, eine Quelle, die nicht nur zart und freundlich sprudelt, sondern aus der das Wasser hervor schießt. So wie der Stein sich in der Wüste öffnet, wenn Mose mit seinem Stab darauf schlägt, so öffnet sich unser Inneres, wenn Jesus uns berührt. Wenn wir an ihn glauben, wie es genau heißt. Wenn wir an ihn glauben, verbinden wir uns mit ihm. und sein lebendiges Wasser geht auch aus uns hervor. Hier steht die Predigt vom Sonntag Exaudi (2. Juni 2019) in St. Marien, Gera-Untermhaus:

 

1. JESUS LÄSST ES KRACHEN
Liebe Gemeinde,
Jesus lässt es manchmal ganz schön krachen.
Der Predigttext des heutigen Sonntags

ist so eine Geschichte,
wo die einen ihn lieben

und die anderen ihn töten wollen.
Jesus war ein Provokateur.
Und er kam immer genau auf den Punkt.
Dann flogen ihm die Herzen zu

oder sie verschlossen sich.
Heutige Leser verstehen manchmal nicht,

worin das das Atemberaubende solcher Sätze liegt.


Und da wir alle trostbedürftige Menschen sind,

reagieren wir auf Jesu Zuspruch,

auf seine zusagen von Gottes Nähe und Fürsorge

wohl besser als auf seine Provokationen,

Was, vermuten Sie,

steckt wohl in folgendem kleinen Abschnitt

aus dem Johannesevangelium,

für eine Ungeheuerlichkeit?

Am letzten Tag des Festes,

dem großen Tag,

stellte sich Jesus hin und rief:

Wer Durst hat, komme zu mir,

und es trinke, wer an mich glaubt.
Wie die Schrift sagt:
Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen.
Damit meinte er den Geist,

den alle empfangen sollten, die an ihn glauben;
denn der Geist war noch nicht gegeben,
weil Jesus noch nicht verherrlicht war.
[Joh 7, 37-29]

 

  1. DAS WASSERSCHÖPFEN BEIM LAUBHÜTTENFEST
    Wahrscheinlich geht es Ihnen wie mir

beim ersten Lesen.
Sie bemerken gar keinen Aufruhr in diesem Text,

nur ein schönes Wort vom Wasser des Lebens,

das allen verheißen wird.
Dass es Ärger gegeben hat,
kann höchstens mit der Situation zusammenhängen, in der dieser Satz gesprochen wird.
Was ist also der „große Tag“,
der letzte Tag des großen Festes?

Einige Verse vorher wird es erzählt.
Jesus kommt zum Laubhüttenfest nach Jerusalem.
Und er kommt heimlich.
Seinen Brüdern sagt er, sie sollen allein gehen.
Ich schicke voraus: Er kommt heimlich,

damit er gleich einen großen Auftritt hat.
Doch dazu später.

Laubhüttenfest?
Das ist eines der großen Feste im Judentum.
In der Bibel schon wird es eingesetzt.
Es stammt aus der nomadischen Zeit des Volkes Israel.
Laubhütten wurden für die Ernte gebaut,
eine Art Unterstand.
Denn wer in der glühenden Sonne arbeitet,
sehnt sich nach einer Ruhepause im Schatten.
So dienten die kleinen Hütten zur Regeneration.
Sie waren dazu da, wieder Kraft zu schöpfen.
Während des heutigen Laubhüttenfestes übernachten die Juden in solchen
– eigens für das Fest errichteten – kleinen Hütten.
Das kann heute in den Städten

auch schon mal auf dem Balkon sein.
Es ist ein Fest der Erntezeit

und deswegen ein fröhliches Fest
– wie alle Feste die mit Fruchtbarkeit zu tun haben.
Es gibt Umzüge,

geradezu ein karnevalistisches Treiben,
wie wir mit unseren Worten

und unsrer Fest-Erfahrung sagen würden.
Der Höhepunkt ist der achte Tag,

an dem das Wasserschöpfen stattfindet.

Wer die Freude des Wasserschöpfens

nicht erlebt hat,
kennt die Freude des Judentums nicht,
sagt die Überlieferung.
Der Priester geht zur Quelle Siloah,
schöpft Wasser dort,

wo früher die einzige Versorgung Jerusalem war
und dann geht es durch die Straßen
– fröhlich, manchmal ausgelassen – zum Tempel.
Dort wird das Wasser in zwei Vertiefungen gegossen
und läuft den Altar hinunter:
überlaufende, Leben spendende Nässe.
Dank für den Gott des Himmels und der Erden,

der Leben und Nahrung gibt

und vor allem das Wasser,

das im Vorderen Orient den Unterschied macht.
Wo Bewässerung ist, ist Leben,
wo das Wasser fehlt, ist Wüste und Tod.
Die Lesungen dieses Festtages

erzählen von der Wüste, in der
das Volk Israel dürstete.
Und Moses schlug mit seinem Stab

gegen einen Felsen
und das Wasser sprudelte heraus.
Dieses Sprudeln des Lebens ist der Kern des Festes.
Das wird inszeniert beim rituellen Wasserschöpfen.
Und dazu erklingt ein Spruch aus dem Jesajabuch,
der dieses Wasserschöpfen mit dem kommenden Heil verbindet:
Ihr werdet Wasser schöpfen

voll Freude aus den Quellen des Heils.

Das heißt, es ist Zeichen des kommenden Friedens,

Element einer Kultur der Gerechtigkeit.
Im rituellen Wasserschöpfen

wird dieses Glück der Heilszeit vorweggenommen!

 

3. DER GROßE AUFTRITT

Und in diesem Moment hat Jesus seinen großen Auftritt.

Der ist nicht vorgesehen.
Er nimmt ihn sich.
Er platzt ins Ritual hinein.
Als der Priester diesen Spruch sagt

und von den Quellen des Heils spricht,
da nennt er den Brunnen des Heils

den Brunnen Jeschua,
denn Jeschua heißt „Heil“.
Und das ist genau der Name Jesu.

Und genau dieses „Jeschua“

steht da im Buch Jesaja an dieser Stelle.
Jesus wird also gleichsam aufgerufen
und steht auf und ruft: „Hier!“
Beim Stichwort „Jeschua“ tritt er hervor und sagt:
Wer Durst hat, komme zu mir,

und es trinke, wer an mich glaubt.

Wie die Schrift sagt:

Aus seinem Inneren

werden Ströme von lebendigem Wasser fließen.


Mit anderen Worten: Das Heil bin ich!
Ich bin der Brunnen, von dem ihr hört!
Der Brunnen des Heils ist der Brunnen Jeschua.

Das dürfte der launigen Menge

den Atem genommen haben.

 

  1. WASSER SCHIEßT AUS DEN GEDÄRMEN
    Und wie er es sagt!
    Er benutzt die derben Worte des Karnevals.
    Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen.
    Das klingt für uns sehr poetisch.

Aber das Innere nennt Jesus Koilia.
Das ist das Wort für den letzten Teil des Darmes.
Und gleichzeitig für den Schoß der Frau.
Eigenartig, dass es im Griechischen dafür

ein einziges Wort gibt,

ein und dasselbe Wort,

das diese beiden so unterschiedlichen Organe bezeichnet.
Aber so war es wohl:
Jesus benutzt ein volkstümliches Wort.

Aus diesen Koilia wird das Wasser schießen.

Die Männer, die das Wörterbuch zum Neuen Testament geschrieben haben,
äußern die Vermutung, das Wort bezeichne das „Innere des Menschen“.
Deshalb könne es auch im Sinne von “Herz” verstanden werden.
Schließlich liege das Herz ja direkt über den Därmen.
Aber: es gibt dann bloß diese eine Stelle,
wo dieses Wort, das so ungefähr

„Unten, wo was rauskommt“

plötzlich „Herz“ heißen soll.
Aber wie es auch ist,
Jesus spricht hier vom „Inneren“ des Menschen mit einem Wort,
das zu der Volks- und Festkultur,

zum Erntedank, zum Fruchtbarkeitsfest passt,

in der er gerade auftritt.
Er schaut dem Volk aufs Maul,
wie Luther sagen würde.
Wer zu ihm kommt,

wird nicht Wasser schöpfen,
sondern selbst eine Quelle sein,
eine Quelle,

die nicht nur zart und freundlich sprudelt,
sondern aus der das Wasser hervor schießt.
So wie der Stein sich in der Wüste öffnet,
wenn Mose mit seinem Stab darauf schlägt,
so öffnet sich unser Inneres,

wenn Jesus uns berührt.
Wenn wir an ihn glauben,

wie es genau heißt.
Wenn wir an ihn glauben,

verbinden wir uns mit ihm
und sein lebendiges Wasser

geht auch aus uns hervor.
Das ist der Geist, der uns später gegeben wird,
vergisst das Johannesevangelium nicht zu erwähnen.

5. SIND WIR WIE WASSERSPEIER?
Wie schießt das Wasser aus uns hervor?
Ich suche ein Bild dafür.
An den mittelalterlichen Kathedralen gibt es Steinfiguren,
durch die das Wasser schießt.
Sie heißen Wasserspeier

und gefallen besonders Kindern,
die diese skurrilen Wesen an der Außenhaut der Kirche lieben.
Es gibt sogar eine Zeichentrickserie, die Gargoyles,
in der diese Monster lebendig werden

und allerlei Gutes tun.
Die Steinfiguren der Kathedralen

symbolisieren eigentlich das Böse,

das draußen bleibt, eben außerhalb der Kirche.

Sie sind nicht im Inneren des Gotteshauses zu finden.
Und dennoch schießt durch die Monster das Wasser.
Das heißt:

Sie tragen, ohne es zu wollen,

zum Heil der Kathedrale bei.
Sie leiten das Wasser ab.

Sind wir solche Wesen?
Gehören wir eigentlich der Finsternis an,

während durch uns Jesu Wasser schießt?

6. DIE GESETZE DES FLOW
Es gab Zeiten in der evangelischen Kirche,
da wurde dieses Bild freudig angenommen.
Nichtswürdige Knechte sind wir

und Jesus in uns ist alles.
Aber das Bild ist verharmlosend.
Es suggeriert, dass wir nicht beteiligt sind.
Aber es gehört unser Charakter, unser Leben, unser Denken und Handeln dazu,
wenn wir Quellen werden wollen.

Manchmal auch unsere Mühe.
Wir lassen uns von Jesus inspirieren,
– von seiner Sanftheit und Direktheit,
– von seiner Frechheit
– ebenso wie von seiner unverstellten Zuneigung,
– von der Art, wie er Gott nennt, Abba, Väterchen
– und wie er ihn uns vor Augen stellt.
Aber jeder von uns muss suchen, wie es bei ihm selbst funktioniert,
wie er in den Flow kommt, von dem Jesus spricht.
das Lebensgefühl des fließenden Wassers.
Der Flow ist in unserer Kultur ja eine Art Modewort.
Es bezeichnet den Moment des Glücks,

den Moment, in dem alles fließt,
in dem man sich vergisst
und ganz das ist, was man tut oder denkt.
Ich denke: die Ströme lebendigen Wassers,

die aus uns hervorbrechen sollen,
sind ein solcher starker Augenblick des Glücks,
in dem wir uns selbst vergessen.

Und wie kommen wir dahin?
Das ist die Frage unseres Lebens.
Ich sage Ihnen heute zwei Gedanken.
Denn diese Frage beantwortet sich auch nur,

indem wir leben und im Leben

immer wieder zu dieser Frage zurückkehren.
Also heute nur zweierlei:

Das erste ist das Immer-wieder-Zurückkommen auf Jesus.
Er ist der, der uns inspiriert
– in seiner Leichtigkeit, aber auch in seiner Schwere.
Sowohl in den Vögeln des Himmels und dem Gott, der für uns sorgt,
als auch in dem dunklen Moment Getsemane,
in der Kraft, auch Leid durchzustehen und ihm nicht ängstlich auszuweichen.
Denn manchmal verpasst gerade der sein Leben, der vor dem Leid flieht.

Und zweitens wünsche ich Ihnen die Tugend des Wasserspeiers.
Einfach durchlassen!
Wer Verantwortung übernommen hat

und sein Leben so gut lebt wie möglich,
der braucht manchmal eine Erinnerung daran,
dass die wichtigsten Dinge im Leben
nicht durch Anstrengung entschieden werden,
sondern durch ein Lassen.
Ein Gewähren lassen des Geistes,

der durch uns hindurch rauscht
wie durch ein Rohr
und uns lebt, wie wir selbst gern leben möchten.
Ein Geist, der uns trägt
und uns selbst zu einer Quelle macht,

aus der das Leben hervorgeht.
Amen.

Und der Friede Gottes,

der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Verfolgen Frank Hiddemann:

Seit 2015 Pfarrer in St. Marien und seit 2018 Leiter der Ökumenischen Akademie Gera / Altenburg (https://oek-akademie-gera.de/).